Zuletzt aktualisiert am 04.12.2025 6 Minuten Lesezeit

ARPANET

ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) war das weltweit erste paketvermittelte Computernetzwerk und gilt als direkter Vorläufer des heutigen Internets. Das Netzwerk wurde 1969 von der US-amerikanischen ARPA (Advanced Research Projects Agency) des Verteidigungsministeriums initiiert und verband zunächst vier Universitäten an der amerikanischen Westküste.

Die erste Nachricht über das ARPANET wurde am 29. Oktober 1969 von der UCLA (University of California, Los Angeles) zum Stanford Research Institute gesendet. Der Student Charley Kline versuchte das Wort "login" zu übertragen, doch das System stürzte nach den ersten beiden Buchstaben ab - die historisch bedeutsame erste Nachricht lautete daher schlicht "lo".

Geschichte und Entwicklung des ARPANET

Die konzeptionellen Grundlagen für das ARPANET entstanden in den frühen 1960er Jahren aus verschiedenen unabhängigen Forschungsprojekten. Der Informatiker J.C.R. Licklider formulierte bereits 1963 seine Vision eines "Intergalaktischen Computer-Netzwerks", das Forschern den Zugriff auf Rechenressourcen über geografische Distanzen hinweg ermöglichen sollte.

Parallel dazu entwickelte Paul Baran bei der RAND Corporation das Konzept der "verteilten adaptiven Nachrichtenblock-Vermittlung" - eine frühe Form der Paketvermittlung. Seine Forschung zielte auf ein ausfallsicheres Kommunikationsnetzwerk ab, das auch bei Zerstörung einzelner Knotenpunkte funktionsfähig bleiben würde. Unabhängig davon kam der britische Informatiker Donald Davies am National Physical Laboratory zu ähnlichen Schlüssen und prägte den Begriff "Packet Switching" (Paketvermittlung).

Wichtige Meilensteine

Die Entwicklung des ARPANET verlief über mehrere Jahrzehnte und führte zahlreiche technologische Innovationen ein, die das moderne Internet prägen:

  • 1962: J.C.R. Licklider wird Direktor des IPTO (Information Processing Techniques Office) bei ARPA
  • 1966: Bob Taylor erhält Finanzierung für das Netzwerkprojekt
  • 1967: Larry Roberts wird Projektmanager; erste ARPANET-Spezifikationen
  • 1969: Bolt, Beranek and Newman (BBN) erhält den Entwicklungsauftrag
  • 29. Oktober 1969: Erste Nachricht zwischen UCLA und Stanford Research Institute
  • Dezember 1969: Vier-Knoten-Netzwerk vollständig betriebsbereit
  • 1970: ARPANET erreicht die US-Ostküste (BBN in Cambridge)
  • 1971: 15 Knoten verbunden; Ray Tomlinson erfindet E-Mail mit dem @-Symbol
  • 1973: Erste internationale Verbindung nach Norwegen und England
  • 1974: Vinton Cerf und Robert Kahn veröffentlichen das TCP-Protokoll
  • 1983: Umstellung von NCP auf TCP/IP ("Flag Day")
  • 1984: Aufspaltung in ARPANET (zivil) und MILNET (militärisch)
  • 1990: ARPANET wird offiziell abgeschaltet

Technische Funktionsweise

Das ARPANET basierte auf dem revolutionären Konzept der Paketvermittlung (Packet Switching). Im Gegensatz zur damals üblichen Leitungsvermittlung (wie beim Telefon) wurden Nachrichten in kleine Datenpakete aufgeteilt, die unabhängig voneinander durch das Netzwerk geroutet wurden.

Interface Message Processor (IMP)

Das Herzstück der ARPANET-Infrastruktur bildeten die Interface Message Processors (IMPs). Diese spezialisierten Minicomputer, basierend auf dem Honeywell DDP-516, fungierten als Vermittlungsknoten und übernahmen die Aufgabe der Paketweiterleitung. Jeder IMP verfügte über 24 Kilobyte Arbeitsspeicher und konnte bis zu vier lokale Hostcomputer sowie sechs Verbindungen zu anderen IMPs bedienen.

Die IMPs arbeiteten nach dem Store-and-Forward-Prinzip: Eingehende Pakete wurden zwischengespeichert, die Zieladresse analysiert und das Paket dann an den nächsten Knoten weitergeleitet. Bei Übertragungsfehlern erfolgte eine automatische Neuübertragung.

Netzwerkprotokolle

Die Kommunikation im ARPANET wurde durch mehrere Protokollschichten geregelt:

  • 1822-Protokoll: Definierte die Schnittstelle zwischen Hostcomputern und IMPs
  • NCP (Network Control Protocol): Das ursprüngliche Transportprotokoll des ARPANET (1970-1983)
  • TCP/IP: Ab 1983 das standardmäßige Protokoll, das die Grundlage für das heutige Internet bildet

Die Datenübertragungsrate betrug anfangs 50 Kilobit pro Sekunde über gemietete Telefonleitungen - nach heutigen Maßstäben extrem langsam, aber für die damalige Zeit beachtlich.

Bedeutende Anwendungen und Protokolle

Das ARPANET diente als Experimentierfeld für zahlreiche Netzwerkanwendungen, die später zu Standarddiensten des Internets wurden:

E-Mail

1971 entwickelte Ray Tomlinson bei BBN das erste E-Mail-Programm für das ARPANET und führte das @-Symbol als Trennzeichen zwischen Benutzername und Hostname ein. E-Mail wurde schnell zur meistgenutzten Anwendung - eine ARPA-Studie von 1973 ergab, dass bereits drei Viertel des gesamten Netzwerkverkehrs aus E-Mails bestand.

Telnet und FTP

Telnet ermöglichte den Fernzugriff auf entfernte Computer, als säße man direkt davor. FTP (File Transfer Protocol), spezifiziert 1971 in RFC 114, standardisierte den Dateitransfer zwischen verschiedenen Systemen. Beide Protokolle existieren in weiterentwickelter Form bis heute.

Request for Comments (RFC)

Steve Crocker initiierte 1969 den RFC-Prozess als informelle Methode zur Dokumentation von Protokollen und Standards. RFC 1 ("Host Software") wurde am 7. April 1969 veröffentlicht. Dieser pragmatische Ansatz zur Standardisierung prägt die Internet-Entwicklung bis heute.

Der Übergang zu TCP/IP und die Entstehung des Internets

In den frühen 1970er Jahren entstanden weltweit weitere paketvermittelte Netzwerke mit unterschiedlichen, inkompatiblen Protokollen. Die Herausforderung, diese heterogenen Netzwerke zu verbinden, führte zur Entwicklung von TCP/IP.

Vinton Cerf und Robert Kahn entwickelten ab 1973 das Transmission Control Protocol (TCP), das später in TCP und IP aufgeteilt wurde. Im Gegensatz zum NCP, das zuverlässige Übertragung auf Netzwerkebene garantierte, verlagerte TCP/IP die Zuverlässigkeit auf die Endgeräte - ein Designprinzip, das als "End-to-End-Prinzip" bekannt wurde und die Skalierbarkeit des späteren Internets ermöglichte.

Am 1. Januar 1983 - dem sogenannten "Flag Day" - wurde das ARPANET vollständig auf TCP/IP umgestellt. Dieser Tag markiert für viele Historiker die eigentliche Geburt des Internets, da TCP/IP die Vernetzung unterschiedlicher Netzwerke (Internetworking) ermöglichte.

Das Ende des ARPANET und sein Vermächtnis

1984 wurde das ARPANET in einen zivilen (ARPANET) und einen militärischen Teil (MILNET) aufgespalten. Mit dem Aufstieg des NSFNET (National Science Foundation Network) ab 1986 verlor das ARPANET zunehmend an Bedeutung als Backbone-Netzwerk.

Am 28. Februar 1990 wurde das ARPANET nach über zwei Jahrzehnten Betrieb offiziell abgeschaltet. Zu diesem Zeitpunkt hatte es seine ursprüngliche Forschungsmission erfüllt und die Grundlagen für das kommerzielle Internet gelegt.

Technisches Erbe

Das ARPANET hinterließ zahlreiche Innovationen, die das moderne Internet prägen:

  • Paketvermittlung: Das Grundprinzip der Datenübertragung im Internet
  • TCP/IP-Protokollsuite: Der universelle Standard für Internetkommunikation
  • E-Mail: Die erste "Killer-App" des Netzwerks
  • RFC-Prozess: Der offene Standardisierungsprozess für Internet-Protokolle
  • Dezentrale Architektur: Keine zentrale Kontrollinstanz, robustes Design
  • End-to-End-Prinzip: Intelligenz an den Endpunkten, einfaches Netzwerk

Relevanz für die IT-Branche

Das Verständnis des ARPANET ist für IT-Fachkräfte aus mehreren Gründen relevant. Die Architekturprinzipien und Designentscheidungen des ARPANET prägen moderne Netzwerke und das Internet bis heute. Wer die Geschichte kennt, versteht besser, warum bestimmte Protokolle so funktionieren wie sie funktionieren.

Für Fachinformatiker für Systemintegration bietet das ARPANET wertvolle Einblicke in grundlegende Netzwerkkonzepte wie Routing, Paketvermittlung und Protokollschichten. Das TCP/IP-Referenzmodell, das aus dem ARPANET hervorging, ist nach wie vor die Grundlage jeder Netzwerkausbildung.

Quellen und weiterführende Links