Prüfungsvorbereitung Fachinformatiker Anwendungsentwicklung

Als Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung (FIAE), manchmal auch als "FI-AE" oder einfach "AE" bezeichnet, liegt dein Fokus auf Softwareentwicklung, Programmierung und Datenbanken. Dieser Leitfaden zeigt dir, welche Themen in der IHK-Prüfung drankommen, wie du dich optimal vorbereitest und worauf du bei der Projektarbeit achten musst.

Die FIAE-Prüfung im Überblick

Die Abschlussprüfung besteht aus zwei Teilen: AP Teil 1 nach 18 Monaten (20% der Note) und AP Teil 2 am Ende der Ausbildung (80% der Note). Während AP Teil 1 für alle IT-Berufe identisch ist, hat AP Teil 2 fachspezifische Schwerpunkte für Anwendungsentwicklung.

AP Teil 1: Die Grundlagen

Die AP Teil 1 ist für alle IT-Berufe gleich, egal ob FIAE oder FISI. Die Prüfung dauert 90 Minuten und besteht aus ungebundenen Aufgaben. Du musst Antworten selbst formulieren, es gibt kein Multiple Choice.

Als FIAE kommen in AP Teil 1 auch Themen wie Netzwerktechnik oder Hardware dran, die nicht direkt mit Programmierung zu tun haben. Diese Grundlagen sind für alle IT-Berufe relevant.

Wichtige Themen für AP Teil 1:

• Netzwerktechnik: IPv4/IPv6-Adressierung, OSI-Modell, Netzwerkdiagnose
• Wirtschaftlichkeit: Kostenvergleiche, Nutzwertanalysen, Make-or-Buy-Entscheidungen
• Projektmanagement: Gantt-Diagramme, Netzpläne, BPMN, Scrum, Kanban
• IT-Sicherheit: Verschlüsselung, Datenschutz, Backup-Konzepte, KI-Grundlagen
• Datenbankgrundlagen: ER-Modelle, Normalisierung (ohne SQL in AP1)
• Hardware: Speichermedien, Schnittstellen, Leistungskennzahlen (Binärpräfixe beachten!)

Wichtig: Seit 2025 wurden SQL und RAID aus der AP Teil 1 gestrichen. Zudem wurden Struktogramme und PAP gestrichen. Dafür sind BPMN und KI nun prüfungsrelevant.

Ausführliche Informationen zur AP Teil 1 findest du hier: Alles zur Abschlussprüfung Teil 1

AP Teil 2: Planen eines Softwareproduktes

Dieser Prüfungsbereich macht 10% deiner Gesamtnote aus und dauert 90 Minuten. Der Fokus liegt auf der konzeptionellen Seite der Softwareentwicklung: Anforderungsanalyse, UML-Modellierung, Datenbank-Design und Architekturentscheidungen.

Anforderungsanalyse und Projektmanagement

• Funktionale Anforderungen: Was soll die Software können?
• Nicht-funktionale Anforderungen: Performance, Sicherheit, Usability (ISO 25010 Qualitätsmerkmale)
• Lastenheft vs. Pflichtenheft: Wer erstellt was, welche Inhalte, Abgrenzung
• User Stories: Aufbau ("Als [Rolle] möchte ich [Funktion], um [Nutzen]") und Verwendung in agilen Projekten
• Vorgehensmodelle: Wasserfall, V-Modell vs. agile Methoden (Scrum, Kanban)
• Stakeholder-Analyse: Identifikation von Interessengruppen, deren Ziele und Befürchtungen
• Risikomanagement: Projektrisiken erkennen und Gegenmaßnahmen planen
• Wirtschaftlichkeit: Nutzwertanalysen zur Entscheidungsfindung (z.B. Auswahl von Software-Anbietern)

UML-Diagramme

UML ist der zentrale Block im Bereich "Planen". In fast jeder Prüfung musst du ein Diagramm erstellen oder ergänzen:

• Klassendiagramme: Klassen, Attribute (mit Datentypen), Methoden, Beziehungen (Assoziation, Aggregation, Komposition, Vererbung). Oft müssen Entwurfsmuster wie Factory oder Observer integriert werden.
• Sequenzdiagramme: Zeitliche Interaktion zwischen Objekten (Methodenaufrufe, Rückgabewerte)
• Use-Case-Diagramme: Akteure und Anwendungsfälle mit Beziehungen (<<include>>, <<extend>>)
• Aktivitätsdiagramme: Programmabläufe mit Verzweigungen und parallelen Pfaden (Fork/Join)
• Zustandsdiagramme: Zustandsübergänge modellieren (z.B. Status einer Bestellung oder eines Raumes)

Wichtig: In der Prüfung zeichnest du auf Papier. Übe das Zeichnen ohne Tool. Die Notation muss sitzen. Oft musst du Lückentext-Diagramme vervollständigen.

Datenbankmodellierung

Datenbank-Design geht im Bereich "Planen" um Struktur und Konzeption, weniger um komplexe Abfragen:

• ER-Modelle: Entitäten, Attribute, Beziehungen mit Kardinalitäten (1:n, m:n) in Chen- oder Krähenfuß-Notation
• Normalisierung: Überführung in 1NF, 2NF, 3NF. Anomalien verstehen (Einfüge-, Änderungs-, Löschanomalie)
• Überführung: Vom ER-Modell zum relationalen Schema
• NoSQL vs. Relational: ACID vs. BASE, Tabellen vs. Collections/Documents
• JSON: Transformation von Tabellendaten in JSON-Strukturen

Softwarearchitektur

• Schichtenarchitektur: Präsentation, Logik, Datenzugriff
• MVC-Pattern: Model, View, Controller. Aufgaben und Zusammenspiel
• Entwurfsmuster: Singleton, Factory, Observer. In der Prüfung musst du oft Muster auf konkrete Szenarien anwenden (z.B. Observer-Pattern im Pseudocode)
• Polymorphie: Vermeidung von Redundanz durch dynamische Methodenbindung

Schnittstellen und REST-APIs

• REST-Prinzipien: HTTP-Methoden (GET, POST, PUT, DELETE) und deren Zuordnung zu CRUD-Operationen
• HTTP-Statuscodes: 2xx (Erfolg), 4xx (Client-Fehler), 5xx (Server-Fehler)
• Datenaustauschformate: XML (Wohlgeformtheit, Validität, DTD) und JSON
• UI/UX: Bewertung von Mockups hinsichtlich Usability und Barrierefreiheit
• Sicherheit: TLS-Verschlüsselung, Authentifizierung (OAuth2, SSO)

AP Teil 2: Entwicklung und Umsetzung von Algorithmen

Dieser Prüfungsbereich macht ebenfalls 10% deiner Gesamtnote aus und dauert 90 Minuten. Hier geht es um praktische Programmierung, SQL und Code-Analyse. Ein Belegsatz mit SQL-Syntax und Tabellenfunktionen liegt der Prüfung bei.

Programmierung und Pseudocode

Du musst Code schreiben und analysieren können – auf Papier, ohne IDE. Pseudocode schreiben ist die häufigste Aufgabe:

• Array-Operationen: Iteration durch 1D- und 2D-Arrays (z.B. "Finde den freien Zeitslot" oder "Berechne Durchschnittswerte")
• Listen & Generics: Umgang mit List<T>, Hinzufügen/Entfernen, foreach-Iteratoren
• Logik: Min/Max-Suche, Durchschnittsberechnung, Schwellenwert-Prüfung (if/else), Schleifen (for, while)
• Algorithmen: Sortieren (Bubble Sort anpassen), Rekursion (z.B. Dezimal-zu-Binär)
• API-Nutzung: Methoden implementieren, die auf vorgegebene Schnittstellen zugreifen

Sprachunabhängig: Meist ist Pseudocode gefordert, der an Java oder C# angelehnt ist. Ein Syntax-Beiblatt liegt bei. Syntaxfehler werden toleriert, solange die Logik stimmt.

SQL

SQL ist ein fester Bestandteil der FIAE-Prüfung. Der Schwierigkeitsgrad ist hier höher als im Bereich "Planen":

• Komplexe SELECT-Abfragen: Aggregatfunktionen (SUM, AVG, COUNT, MIN, MAX) mit GROUP BY und HAVING
• JOINs über mehrere Tabellen: Verknüpfung von 3-4 Tabellen (z.B. Kunde → Auftrag → Position → Artikel)
• Datumsfunktionen: Rechnen mit Zeiträumen ("Alle Aufträge der letzten 3 Monate")
• UPDATE & DELETE: Massenänderungen ("Preiserhöhung um 5% für alle Artikel von Hersteller X")
• Archivierung: Daten kopieren (INSERT INTO ... SELECT) und anschließend löschen
• Indizes: Wann und wie anlegen (CREATE INDEX)

Vorsicht Falle GROUP BY: Alle Spalten im SELECT, die nicht aggregiert werden, müssen ins GROUP BY! Nutze den beiliegenden SQL-Syntax-Belegsatz, um Fehler zu vermeiden.

Transaktionen und ACID

Transaktionskonzepte werden regelmäßig abgefragt:

• Atomicity: Eine Transaktion wird ganz oder gar nicht ausgeführt
• Consistency: Die Datenbank bleibt in einem konsistenten Zustand
• Isolation: Parallele Transaktionen beeinflussen sich nicht gegenseitig
• Durability: Abgeschlossene Transaktionen überdauern Systemausfälle

In der Prüfung musst du oft erklären, warum ACID-Eigenschaften wichtig sind oder was passiert, wenn sie verletzt werden.

Testing

Testkonzepte sind prüfungsrelevant und werden oft unterschätzt:

• Schreibtischtest (Trace Table): Du bekommst Code und musst Zeile für Zeile nachvollziehen, wie sich Variablenwerte ändern. Extreme Sorgfalt gefragt!
• Unit-Testing: Analyse von JUnit-artigen Tests (assertEquals), Testfälle für Szenarien schreiben
• Test-Metriken (White-Box): Anweisungsüberdeckung (Statement Coverage), Zweigüberdeckung (Branch Coverage), Pfadüberdeckung (Path Coverage)
• Testfallberechnung: Berechnung der minimal notwendigen Testfälle für bestimmte Überdeckung
• Black-Box: Äquivalenzklassen, Grenzwertanalyse (Eingaben ohne Code-Kenntnis)

Praxistipp Schreibtischtest: Erstelle eine Tabelle mit allen Variablen als Spalten. Gehe Zeile für Zeile durch und trage die aktuellen Werte ein. Das kam in den letzten Jahren (Sommer 2024, Winter 2022) sehr detailliert dran.

Mehr Details: AP Teil 2 für Anwendungsentwicklung

Die betriebliche Projektarbeit

Die Projektarbeit macht mit 50% den größten Teil deiner Note aus. Als FIAE hast du maximal 80 Stunden Zeit, doppelt so viel wie FISI. Der Grund: Softwareprojekte erfordern mehr Konzeption und Entwicklung.

Geeignete Projektthemen

Das Projekt muss ein echtes Softwareentwicklungsprojekt sein, nicht nur Konfiguration oder Anpassung bestehender Software.

Gute Projektbeispiele:

• Entwicklung einer Webanwendung zur Verwaltung von Kundendaten
• Implementierung einer REST-API für ein bestehendes System
• Entwicklung eines Dashboards zur Datenvisualisierung
• Automatisierung von Geschäftsprozessen durch eine eigenentwickelte Anwendung
• Migration einer Legacy-Anwendung auf moderne Technologien
• Entwicklung einer mobilen App für interne Prozesse

Weniger geeignet:

• Reine Installation und Konfiguration von Software
• WordPress-Seite mit fertigen Plugins
• Projekte ohne nennenswerte Eigenentwicklung
• Themen, die keinen betrieblichen Nutzen haben

Projektphasen und Dokumentation

Die Dokumentation sollte alle Phasen abdecken:

1. Analyse: Ist-Zustand, Anforderungen, Ziele
2. Entwurf: Architektur, Datenmodell, UML-Diagramme
3. Implementierung: Technologiewahl, wichtige Code-Abschnitte
4. Test: Teststrategie, Testfälle, Ergebnisse
5. Abschluss: Soll-Ist-Vergleich, Fazit, Ausblick

Tipp: Dokumentiere von Anfang an. Halte Entscheidungen und deren Begründungen fest. Der Prüfungsausschuss fragt genau danach.

Präsentation und Fachgespräch

• Präsentation: 15 Minuten, fokussiert auf die wichtigsten Aspekte
• Fachgespräch: 15 Minuten, Fragen zu deinem Projekt und angrenzenden Themen
• Typische Fragen: "Warum haben Sie sich für diese Technologie entschieden?", "Was würden Sie heute anders machen?", "Wie haben Sie getestet?"

Programmieren auf Papier üben

Einer der häufigsten Fehler: Azubis üben nur am Computer. In der Prüfung schreibst du aber Code auf Papier – ohne Autovervollständigung, ohne Syntaxhighlighting, ohne Compiler-Feedback.

So übst du effektiv:

1. Pseudocode zuerst: Schreibe erst die Logik in Pseudocode, dann in echter Syntax
2. Handschriftlich: Nimm Papier und Stift, nicht den Computer
3. Unter Zeitdruck: Setze dir ein Zeitlimit für jede Aufgabe
4. Danach prüfen: Tippe deinen Code ab und teste ihn – wo waren Fehler?
5. Klassiker üben: Sortieralgorithmen, Suchen in Arrays, String-Manipulation

Gut zu wissen: Syntaxfehler (vergessenes Semikolon, falsche Klammer) werden in der Regel nicht abgezogen, solange die Logik erkennbar richtig ist.

Neben Papierübungen helfen auch interaktive Lerntools. Auf unserer Lernplattform findest du Programmieraufgaben und Karteikarten zu allen FIAE-Themen – von OOP-Konzepten bis SQL.

Typische Prüfungsaufgaben für FIAE

Damit du weißt, was dich erwartet, hier einige typische Aufgabenstellungen:

Programmierung:

• "Implementieren Sie eine Methode, die ein Array sortiert..."
• "Analysieren Sie folgenden Code und beschreiben Sie die Ausgabe..."
• "Schreiben Sie eine rekursive Funktion zur Berechnung von..."

Datenbanken:

• "Erstellen Sie eine SQL-Abfrage, die alle Kunden mit mehr als 3 Bestellungen zeigt..."
• "Normalisieren Sie folgende Tabelle in die 3. Normalform..."
• "Zeichnen Sie ein ER-Diagramm für folgendes Szenario..."

Softwareplanung:

• "Erstellen Sie ein Klassendiagramm für ein Bibliotheksverwaltungssystem..."
• "Zeichnen Sie ein Sequenzdiagramm für den Bestellvorgang..."
• "Welches Entwurfsmuster eignet sich für dieses Problem? Begründen Sie..."

Häufig gestellte Fragen

Weiterführende Artikel:

• Übersicht: Fachinformatiker Prüfungsvorbereitung
• Prüfungsvorbereitung Systemintegration (FISI)
• AP Teil 1 im Detail
• Die betriebliche Projektarbeit